Autor

Auf vielen überteuerten Wochenendseminaren können Sie sich von selbst ernannten Drehbuch-Gurus für 500-1.000 Euro eine Menge Tipps zum Thema „Wie schreibt man ein gutes Drehbuch?“ anhören.
Im Grunde brauchen Sie aber nur zwei Dinge: Handwerk und Leidenschaft. Rund 80 % des Drehbuchschreibens sind pures, erlernbares Handwerk. Das kann man sich aneignen (allerdings nicht an ein paar Wochenenden). Und sicherlich kann man damit auch passable Drehbücher hinlegen. Aber gute Bücher werden mit Leidenschaft geschrieben und die kann Ihnen kein Drehbuchseminar vermitteln.
Ein Drehbuchautor muss leidenschaftlich gerne Geschichten erzählen. Warum? Weil man sie sonst nicht gut erzählt. Und eine Geschichte, die nicht gut erzählt wird, will keiner hören.
Der Autor ist der Urheber und er ist in dem Sinne der Kreativste am Filmprozess, weil er der Einzige ist, der vor der Aufgabe steht, etwas aus dem Nichts zu kreieren. Alle anderen, die dann kommen, vom Produzenten über den Redakteur über den Kameramann zum Regisseur, zum Schauspieler und zum Cutter: Sie alle beginnen ihre Arbeit auf Basis des Drehbuches.
Ich hebe das hier deshalb hervor, weil diese simple Tatsache mehr und mehr in Vergessenheit geraten ist.
Als Autor steht man am Anfang der Filmherstellung. Und da stehen Sie ganz alleine. Genießen Sie es ruhig eine Weile, denn sehr bald werden Ihnen sehr viele Leute in Ihre Arbeit reinreden.
Die Arbeit am Drehbuch weist etliche Parallelen mit dem Großziehen von Kindern auf. Man geht mit einer Idee regelrecht schwanger, lässt sie in Form von Notizen das Licht der Welt erblicken. Das ist ein sehr behutsamer, schöner Moment.
Die einzelnen Charaktere, die man entwirft, sind so etwas wie die Eigenschaften dieses Kindes, die mehr und mehr reifen und an Konturen gewinnen. Das Buch macht seine Kinderkrankheiten durch, manchmal müssen Sie ziemlich streng sein und Sachen streichen, auch wenn es Ihnen weh tut.
In der Pubertät fragen Sie sich irgendwann, ob es noch Sinn hat, dieses Projekt weiter zu verfolgen. Natürlich siegt die Zuneigung und Sie gehen den steinigen Pfad weiter – man muss auch die Blumen am Rande pflücken. Und dann, mit 18 oder vielleicht erst mit 22, entlassen Sie Ihr Kind in die Welt. Da muss man loslassen. Und alles, was Sie tun können, ist hoffen, dass Sie Ihre Tochter oder Ihren Sohn auf die schönen und niederträchtigen Momente, die unweigerlich kommen werden, gut genug vorbereitet haben. Es bleibt einem nur, jetzt ebenso wachsam wie besorgt zu sein. Und beides ist geboten.
Ich gebe Ihnen einen kleinen Vorgeschmack, wer alles etwas zu Ihrem Buch sagen wird: der Dramaturg des Producers, der Producer, der Produzent, die Praktikantin des Produzenten (Wenn eine Anregung gut ist, ist sie gut, ganz gleich, woher sie stammt. Und das meine ich nicht ironisch.), der Redakteur, der Assistent des Redakteurs, der Vorgesetzte des Redakteurs, manchmal auch der Chef des Senders, der Regisseur, der Herstellungsleiter (Bei ihm lernen Sie, was man alles aus Kostengründen streichen kann, und ich schwöre Ihnen, das ist eine intensive Erfahrung, die Sie nicht vergessen werden.) und manchmal auch der/die Schauspieler.
Ich sage Ihnen etwas Ermutigendes: Die wollen auch alle eine gute Geschichte erzählen. Zweifellos haben Sie geahnt, dass ich noch ein „Aber“ im Ärmel habe. Ja, und hier ist es: Die wollen noch mehr als das. Der Produzent beispielsweise will natürlich eine gute Geschichte erzählen, aber darüber hinaus will er mit dem Film Geld verdienen. Der Redakteur ist auch an einer guten Geschichte interessiert – und an guten Quoten, daran wird er bemessen und er lässt sich das auch gefallen. Der Senderchef will auch eine gute Geschichte – sofern sie „zur Farbe des Senders passt“. Und so weiter und so fort. Verstehen Sie mich nicht falsch: Die Interessen all dieser Leute haben ihre absolute Berechtigung. Bloß sind sie nicht immer zum Wohl Ihrer Geschichte.
Ein kleiner Tipp am Rande: Obwohl es salonfähig geworden ist, etwas zu einem Drehbuch zu sagen, obwohl man nur das Lektorat, nicht aber das Drehbuch gelesen hat (Filmkritiker lesen ja auch nicht das Buch, die haben das Talent, aus dem Film auf das Buch „zurückzuschließen“, wie mir eine Filmkritikerin versicherte.), seien Sie auf der Hut vor Produzenten und Redakteuren, die mit Ihrem Buch so verfahren. Denn es gibt nur zwei Gründe, ein Lektorat in Auftrag zu geben: Entweder, der Produzent/Redakteur ist nicht in der Lage, ein Drehbuch zu beurteilen oder er hat keine Zeit. Beides ist schlecht.
Es werden jede Menge Änderungswünsche kommen. Wie soll man da reagieren? Ganz einfach: Bleiben Sie Ihrer Geschichte treu. Denn es gibt nur genau zwei Arten von Wünschen: diejenigen, die Ihrer Geschichte dienen und sie – befolgt man sie – besser machen werden (und daran müssen Sie als leidenschaftlicher Geschichtenerzähler unbedingt interessiert sein), und diejenigen, die Ihrer Geschichte schaden werden (und auf die reagieren Sie bitte wie eine angeschossene Raubkatze, wenn ihr Junges in Gefahr ist).
Während der Stoffentwicklung klingelt oft das Telefon, Sie werden zu dieser und jener Besprechung geflogen, jeder will etwas von Ihnen. Und eines Morgens klingelt kein Telefon mehr und Sie müssen auch zu keiner Besprechung. Das ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass Sie am Tag zuvor die drehfertige Fassung abgeliefert haben. Ab jetzt sind Sie überflüssig, man braucht Sie nicht mehr. Wenn Sie zum Abschlussfest des Filmes oder zum Festival, auf dem er gezeigt wird, oder zur internen Premiere eingeladen werden (ich meine auf Kosten von Produktion oder Sender), dann sollten Sie es mal mit Lottospielen versuchen – Sie müssen ein Glückspilz sein.
Den Film zu sehen, den man geschrieben hat, ist meistens der Tod des Autors. Aber manchmal geschieht auch ein kleines Wunder. Da hat der Produzent nicht an der Endszene gespart, der Dramaturg hat eng mit Ihnen gearbeitet und Ihnen den Rücken freigehalten, der Redakteur hat das Drehbuch konstruktiv kritisiert und seine geschmäcklerischen Anmerkungen für sich behalten, der Regisseur hat Szene um Szene mit Ihnen durchgesprochen und dann hat er Ihre Vision um seine eigene ergänzt, so dass etwas Neues entstanden ist, etwas Schönes – ein guter Film, eine gute Geschichte. Vielleicht ein Film, der besser ist als das Drehbuch.
Zum Schluss noch etwas: Berühmt werden Sie als Drehbuchautor nicht. 81% der Deutschen gehen einer Umfrage zufolge wegen der „Story“ ins Kino. Interessanterweise kennt aber niemand den Autor. Kleiner Test: Nennen Sie mir zu folgenden Filmen entweder den Regisseur oder einen der Hauptdarsteller:

   „Blade Runner“
   „Erbarmungslos“
   „Twelve Monkeys“

Und jetzt sagen Sie mir nur zu einem der Filme den Autor. Kleiner Tipp: Er hat alle drei Drehbücher verfasst. Falls Sie den Test bestanden haben, geben Sie mir Ihre Nummer, ich werde Ihnen mein nächstes Drehbuch widmen.
Gut, aber wir Autoren treten ja auch nicht an, um berühmt zu werden. Wir treten an, um gute Geschichten zu erzählen.